Innsbrucker Hofmusik

Bartolomeo Selma y Salaverde
"Canzoni, Fantasie et Correnti" Venedig 1638
Canzon terza

Silvius Leopold Weiss
Fantasia-Largo-Fuga d-moll

Giovanni Bonaventura Viviani
"Capricci Armonici"
Introdutione, Allemanda, Corrente, Gagliarda, Sarabanda, Giga

Angelo Michele Bartolotti
Prelude, Allemande, Gigue, Passacaglie

Georg Arnold
"Canzoni, Ariae et Sonatae "
Capricio


* * *

Giovanni Antonio Pandolfi Mealli
Sonatae a Violino Solo opera IV, 1660
La Viviana
La Monella Romanesca
La Stella
La Vinciolina

ARS ANTIQUA AUSTRIA
Leitung: Gunar Letzbor

TOP

 

Bartolomeo de Selma y Salaverde war ein spanischer Augustinermönch, der möglicherweise ein Sohn des Kapellmeisters der königlich spanischen Hofkapelle war und in Madrid seine musikalische Ausbildung erhielt. 1628 taucht de Selma als Fagottist in der Innsbrucker Hofkapelle auf, wo er bis 1630 tätig war.
Von Innsbruck aus führte ihn dann sein Weg an verschiedene mitteleuropäische Fürstenhöfe. 1636 widmete er sein erstes Kanzonenbuch- erschienen bei B.Magni in Venedig- dem Bischof von Breslau Prinz Johann Karl von Polen und Schweden.
Dieses,I. Lib. Canzoni, Fantasie et Correnti da suonar 2-4 v., umfaßt 57 Werke für zwei bis vier Melodieinstrumente.
Die Sammlung stellt eine Besonderheit dar, denn sie gehört zu den wenigen reinen Instrumentalwerken, die ein Spanier in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Santiago Kastner ordnet de Salmas Kompositionen einen überdurchschnittlichen Rang innerhalb der Instrumentalkompositionen der damaligen Zeit zu, und sieht spanische, venezianische und slawische Einflüsse ( Vinco Jelic und Adam Jarzebski) wirksam.
Peter Tschmuck

Silvius Leopold Weiss  wurde bekannterweise 1687 im schlesischen Breslau geboren und ist 1750 in Dresden gestorben. In seinem bewegten Leben sind einige Zeitspannen nicht lückenlos zu dokumentieren. Ein längerer Aufenthalt in Innsbruck scheint nach der neuesten Quellenlage mehr als wahrscheinlich. 1706 finden wir Weiss in Diensten des Pfalzgrafen Karl Philipp in Breslau. Danach gibt es für mehrere Jahre keine wirklich eindeutigen Zeugnisse für seine Anstellung. Karl Philipp verließ jedenfalls 1707 Schlesien um sein vom Kaiser verliehenes Amt als kaiserlicher Gubernator in Innsbruck anzutreten. Ob Weiss mit Karl Philipp nach Innsbruck ging, ist unbekannt.
Karl Philipp gab die Innsbrucker Residenz 1717 auf, um die Nachfolge seines Bruders Johann Wilhelm als Pfälzer Kurfürst anzutreten. Nachweislich ist Weiss wiederum 1718 bei Kurfürst Karl Philipp angestellt. Die Frage stellt sich, ob sich Silvius Leopols Weiss nach seiner Rückkehr aus Italien direkt-oder etwas später- wieder zu seinem ehemaligen Dienstherren Karl Philipp an dessen Hof nach Innsbruck begab und ob er dort auch eine Anstellung bekam. Leider haben sich die Rechnungsbücher aus Karl Philipps Zeit in Innsbruck nicht erhalten.
Was spricht für ein Engagement von Silvius  Leopold Weiss am Innsbrucker Hof Karl Philipps?
Im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck befindet sich eine für die Tiroler Musikforschung wichtige Sammlung, die von Andreas Alois Baron di Pauli von Treuheim (1761-1839) angelegte Bibliotheca Tirolensis.  Ein Band davon enthält eine Handschrift mit dem Titel Authores Musici Tirolenses mit wörtlichen  Abschriften von 21 Artikeln über Musiker aus Gottfried Walthers Musikalischem Lexikon von 1732. Hier findet sich gerade ein Beitrag zu Silvius Leopold Weiss. Der Autor der Handschrift rechnet also Silvius Leopold Weiss zu den Komponisten, die zu Innsbruck oder Tirol zumindest in einem Nahverhältnis standen.
Übrigens schrieb  Karl Philipp am 11.September 1716 an die Witwe Johann Wilhelms, dass er keine Musiker aus seiner Innsbrucker Hofkapelle entlassen werde. Ob Weiss 1717 mit Karl Philipp von Innsbruck abreiste und sich in Neuburg für eine Gastspielreise beurlauben ließ, oder ob dies noch in Innsbruck geschah, lässt sich nicht sagen. Weiss ist jedenfalls zum nächsten Mal 1717 in Prag nachzuweisen. Das Largo und die Fuga des heutigen Programms sind im Manuskript auf 1717 datiert.

Giovanni Buonaventura Viviani, 1638 in Florenz geboren, war als 18jähriger in der Innsbrucker Hofkapelle als Violinist tätig, sicherlich auf Betreiben seines Verwandten Antonio Maria Viviani, der dort schon seit Jahren als Hofkaplan, Organist, Hofsekretär und Librettist wirkte und 1654 von Erzherzog Ferdinand Karl in den Adelsstand erhoben worden war. Der junge Geiger spielte unter anderem in deutschen Komödien mit Musikeinlagen und bei Faschingsumzügen mit. 1663 wurde er von dem sparsameren neuen Regenten Sigismund Franz wie die meisten seiner italienischen Kollegen entlassen.
Mit diesem Erzerzog starb 1665 die Tiroler Linie der Habsburger aus, und das Land fiel an Kaiser Leopold I. Wo Viviani die Jahre bis 1672 verbrachte, wissen wir nicht, doch in diesem Jahr hielt er einen triumphalen Wiedereinzug in Innsbruck als vom Kaiser bestellter Hofkapellmeister. Dabei hatte er die Witwe Ferdinand Karls, Anna de' Medici, und ihre Tochter Claudia Felicitas mit Musik zu versorgen, die aber bereits ein Jahr danach als Schwiegermutter bzw. Gattin der Kaisers nach Wien zogen. Ebenfalls 1673 ließ Viviani in Venedig, der Hochburg des Musikverlagswesens, zwölf Sonaten für zwei Violinen, Baßviola und Basso continuo als sein Opus 1 drucken. In das süddeutsche Verlagszentrum Augsburg wandte er sich 1676 mit seinen Motetten op. 3 und den Soloviolinsonaten op. 4, bevor oder nachdem er nach kaum vier Jahren Ende Mai 1676 sein Innsbrucker Amt zurücklegte - wohl weil er als Hofkapellmeister ohne Hof zu wenig Entfaltungsmöglichkeiten hatte.
Seine in drei Verlagen in Augsburg, Venedig und Rom zwischen 1676 und 1678 erschienenen Solosonaten mit den Titeln Sinfonie, Arie, Capricci, Alemande, Correnti, Gighe, Introdutioni, Sarabande, &c. bzw. Capricci armonici da chiesa, e da camera, cioè Sinfonie, Toccate, Sonate... enthalten, wie der zweite Titel richtig beschreibt, meist mehrsätzige Komposizionen für die Kirche und für den weltlichen Gebrauch, wobei die Sonaten ohne Tanzsätze beiden Verwendungen offen waren, die Tanzsuiten aber nur »da camera« zum Einsatz kommen konnten. Den 22 Stücken für Violine und Cembalo oder Orgel folgen zwei Sonaten für Trompete und Generalbaß, eine sehr seltene Besetzung. Ungewöhnlich ist auch die Vielzahl der Bezeichnungen: Sonata und Sinfonia sind Synonyme; die Toccaten beginnen mit einem Toccatensatz; hier wird also, wie bei den Ouverturen Bachs, die Bezeichnung des ersten Satzes für das ganze Stück übernommen. Die Arie unterscheiden sich von den übrigen Sonaten durch ihre geringe Satzzahl und enden alle mit einem nicht als solchem deklarierten Tanzsatz im Dreiertakt. Die Trompetensonaten sind naturgemäß auf die Naturtöne des ventillosen Instruments beschränkt und weisen in der Oberstimme häufige Atempausen auf, die der Generalbaß mit thematischem Material überbrückt.
Die 1660 in Innsbruck erschienen zwölf Sonate à Violino solo, per chiesa e camera op. 3 und 4 von Viavianis Kapellkollegen Giovanni Antonio Pandolfi Mealli haben den jungen Geiger stark beeinflußt. Dessen bedeutend später entstandene Werke gleicher Besetzung und ähnlicher Bezeichnung sind nicht ganz so extravagant, übernehmen aber teilweise die toccatenartige Gestaltung der Einleitungsätze mit Orgelpunkten und Wechsel von kantablen und virtuosen Passagen. Die Formen der Aria mit Variationen und der Suite mit freiem Einleitungssatz scheinen dagegen auf deutsch-österreichischem Einfluß etwa durch dem im nahen Salzburg tätigen Heinrich Ignaz Franz Biber, den kaiserlichen Vizekapellmeister Johann Heinrich Schmelzer und durch Johann Jakob Rosenmüller, der in Venedig wirkte und publizierte, zurückzugehen. Gerade bei dieser Form der Sonata da camera scheint Viviani eine Mittelrolle zwischen der nördlichen Violinsonate und Corelli gespielt zu haben, denn dieser hat ja gerade im Jahr des römischen Publikation dieser Sonaten unter Vivianis Leitung in Rom musiziert und später genau diese Art des Einleitungssatzes einer Tanzfolge übernommen, wie sie in Italien vorher nicht zu finden war.
Die Sätze der Kirchensonaten gehören mehreren Typen an, so dem schon genannten der Toccata, dem schnellen geradtaktigen Typus - oft fugiert oder sogar echte Fugen - und dem im Dreiertakt, der sich oft als Tanz agnoszieren läß, fast immer als Courante, vereinzelt als Sarabande, Gigue oder Gagliarde. Auch die Suiten haben als Konstante die Courante bzw. die dreimal auftretende Folge Allemande-Courante-Sarabande, auch mit dazwischen eingeschobenen Tänzen.
Herbert Seifert

Über Angelo Michele Bartolotti ist nur wenig bekannt. Sein erstes Gitarrenbuch ist mit 1640 datiert und dem Herzog von Salviati gewidmet. 1652-53 wird er am schwedischen Hof als Theorbist mit anderen italienischen Musikern um Vincenzo Albrici erwähnt. 1655-56 war er am Innsbrucker Hof unter Erzherzog Ferdinand Karl angestellt. In den folgenden Jahren dürfte er sich in Rom aufgehalten haben, wo die „Sibylle des Nordens“ Christina von Schweden weilte. Ihr hat er sein zweites Gitarrenbuch, dem die Suite des heutigen Abends entnommen ist, gewidmet.
Gleich vielen seiner Landsleute wurde auch Bartolotti von Mazarin ( wie Lully ein Italiener) an den Französischen Hof gerufen. Als Gitarrist und Theorbist war er in der Hofkapelle und im Theater beschäftigt. 1662  nahm er in einer Aufführung von Cavallis Ercole Amante anlässlich der Hochzeit Ludwigs XIV mit Maria Theresa teil. Huyghens berichtet, ihn im Haus der berühmten Sängerin Anna Bergerotti öfters angetroffen zu haben. 1664 wird „Ange Michel Bartolotte“, zusammen mit einigen Musikern aus Cavallis Oper, als italienische Virtuosen des königlichen Kabinets aufgelistet. Nach ausgiebigen Intrigen Lullys  jedoch 1666 wieder entlassen. Beim Prinzen von Conde fand er erneut Anstellung.
Es scheint, daß Bartolotti den Rest seines Lebens in Frankreich verbrachte.
Pierre Pitzl

Georg Arnold, der 1621 im ehemaligen niederösterreichischen Feldsberg ( heute Valtice/CSFR) geboren wurde, erreichte die Stellung des Hoforganisten beim Fürstbischof von Bamberg. Aufgrund dieser Position komponierte er vor allem Kirchenmusik, die in mehreren gedruckten Sammlungen erhalten ist. Georg Arnold hatte offenbar Beziehungen zu Innsbruck. Von seinen Sakralwerken sind 1660 das Opus 2, Liber I missarum, psalmorum et Magnifikat, in Innsbruck gedruckt worden und ein Jahr später das Opus 4, Motetten für 4-7 Singstimmen und Instrumente. Ebenfalls in Innsbruck hat Arnold 1659 sein bemerkenswertes Opus 3, Canzoni, Ariae et Sonatae, für Streichinstrumente und B.c. herausgebracht. Der Name Arnold ist zwar unter den Musikern der Innsbrucker Hofkapelle nicht vermerkt, doch läßt das Erscheinen derart umfassender Publikationen ein Naheverhältnis zu Innsbruck annehmen. Es ist durchaus anzunehmen, dass sich Arnold einige Zeit in Innsbruck aufgehalten hat.
Arnolds Publikationen haben ihm überregionales Ansehen verschafft. Seine Werke waren weit verbreitet und sind in verschiedenen Inventaren nachgewiesen. Besondere Erwähnung verdient, dass sich der berühmte Buxtehude um Kompositionen Arnolds bemüht hat. Angesichts dieser offenkundigen Wertschätzung verwundert es, dass Arnolds Opus 3 sich nach derzeitiger Kenntnis nur an einem einzigen vollständigen Exemplar in der Universitätsbibliothek von Uppsala in einer zeitgenössischen Abschrift ( um 1663) erhalten hat.
Georg Arnolds Sammlung Canzoni, Ariae et Sonatae enthält 45 Stücke.Am Beginn stehen zwei Nummern für Solovioline und B.c. Der Basso continuo ist mit einer Viola verstärkt. Beide Stücke sind Variationsreihen von ansprechender Virtuosität. Das erste ist als Aria bezeichnet, das zweite als Capriccio.
Manfred Schneider

Giovanni Antonio Pandolfi Mealli wurde in den Rechnungsbüchern des Innsbrucker Hofes nur ein einziges Mal im Zusammenhang mit dem Bezug seines Jahresgehalts als Geiger der Hofmusik in Höhe von 200 Gulden kurz erwähnt. Sein Wirken als Geiger der Innsbrucker Hofmusik fällt in eine Glanzzeit der Tiroler Musikgeschichte. Damals regierte der Habsburger Erzherzog Ferdinand Karl in Tirol. Rückblickend hat er im Jahrzehnt seiner Herrschaft der Tiroler Kulturgeschichte zur Weltgeltung verholfen. Der überaus weitsichtige und kunstsinnige Fürst veranlasste nicht nur den Bau eines prachtvollen Opernhauses mit modernster Ausstattung, das nach seiner Fertigstellung überhaupt das erste Musiktheater nördlich der Alpen mit einem fest angestellten Personal repräsentierte, sondern er holte vor allem mit Antonio Cesti den berühmtesten Opernkomponisten seiner Zeit nach Innsbruck, der hier seine bedeutendsten Werke schuf und dafür von seinem Herrn mit einem Palast belohnt wurde. In dieses einzigartige kulturelle Flair, das fundamental von italienischem Einfluss geprägt war - Erzherzog Ferdinand Karls Mutter Claudia entstammte ebenso wie seine Gemahlin Anna dem Florentiner Adelsgeschlecht der Medici - ist Pandolfi Meallis künstlerische Tätigkeit eingebettet. Giovanni Antonio Pandolfi Mealli übersiedelte vermutlich im Herbst 1652 nach Innsbruck. In diesem Jahr unternahm Erzherzog Ferdinand Karl mit seiner Gemahlin Anna und zahlreichem Gefolge eine Reise an die Höfe von Mantua, Parma, Ferrara und Florenz, wo das Paar mit großen Festlichkeiten, Waffen- und Wasserspielen, Komödien, Balletten und Opern gefeiert wurde.
Im Zuge dieser Visiten bedeutender italienischer Fürstenhofe lernt Erzherzog Ferdinand die Vielfalt und den Glanz italienischen Kulturlebens kennen, das in dem sensibel empfänglichen jungen Fürsten bleibende Eindrücke und Sehnsüchte erweckte. Kaum nach Innsbruck zurückgekehrt, wird das Bauprojekt des neuen Komödienhauses ebenso zielstrebig angegangen wie die personell aufwendige Ausstattung seiner Musikkapelle, auch in Hinblick auf ihre künftige Aufgabenfülle im Bereich der Oper. Zur üblichen Hofkapelle, die hauptsächlich für die Kirchenmusik zuständig ist und von dem bedeutenden Komponisten Ambrosius Reiner geleitet wird, kommt die nun materiell so reich dotierte Hofmusik, die vor allem die weltlichen Vergnügungen musikalisch begleitet. Erzherzog Ferdinand Karl hatte für dieses Ensemble, das sowohl aus Sängern, zumal aus den vor allem für die Oper bestimmten Kastraten wie auch aus zahlreichen Instrumentalisten bestand, während seiner Italienreise durch diverse Engagements reichlich vorgesorgt. Die Hofmusik, als Ensemble auch Welsche Musici genannt, setzte sich nahezu vollständig aus Italienern zusammen, die teilweise schon in Innsbruck wirkten (z B Antonio Maria Viviani, der als Geiger, Hoforganist und Hofkaplan beim Fürsten großen Einfluss hatte und ihm in musikalischen Angelegenheiten beratend zur Seite stand), aber in der Mehrzahl neu angeworben wurden, wie eben Pandolfi Mealli und viele andere. Im selben Jahr wie Pandolfi Mealli trat formell auch Antonio Cesti in die Dienste des Tiroler Landesherren, nahm aber in Erfüllung anderer Auftrage erst ab 1654, als das neue Opernhaus fertig gestellt war und mit seiner Oper Cleopatra eröffnet wurde, ständigen Wohnsitz in Innsbruck.
Giovanni Antonio Pandolfi Mealli wirkte als Geiger in der Innsbrucker Hofmusik. Musikalischer Leiter ist der berühmte Antonio Cesti, ihm zur Seite steht Antonio Maria Viviani als Intendant. Um 1660, als Pandolfi Meallis Sonatensammlungen publiziert wurden, gehörten dazu des weiteren der Kapellmeister Antonio Melani, der Hoforganist Antonio Castelli sowie vier Kastraten (Clemente Antoni, Felippo Bombaglia, Giovanni Jacopo Biancucci, Pompeo Sabbatini), nach denen allen der Komponist je eine Sonate benannte. Für Felippo Bombaglia hat Mealli die überaus gefühlsbetonte und groß dimensionierte Sonata Terza aus Opus 4 bestimmt und sie mit La Monella Romanesca überschrieben. Gewidmet hat Mealli die sechs Sonaten opus 4 Erzherzog Siegmund Franz, dem letzten Landesherrn der tirolischen Linie der Habsburger.
Pandolfi Meallis Sonatensammlungen sind vermutlich aus der Praxis seiner Innsbrucker Jahre über den ganzen Zeitraum seines Wirkens hier entstanden. Es ist erstaunlich, welch ein faszinierendes Werk ein Hofmusiker hinterlassen hat, der offiziell nicht einmal eine leitende Position innehatte. Auch dieses Faktum verweist auf die überragende künstlerische Qualität der damaligen Innsbrucker Hofmusik, deren Mitglieder - wie etwa der erzfürstliche Kammermusikus Antonio Melani - vielfach auch als Komponisten tätig waren oder als Instrumentalisten bzw. Sänger zu den besten Musiker ihrer Zeit zählten. Die zweite Sonate aus Opus 3 hat Mealli seinem Kapellmeister Antonio Cesti zugedacht. Sie steht nicht von ungefähr an bevorzugter zweiter Stelle. Ihr voraus geht nur die Sonate, die Benedetto Stella gewidmet ist, der Zisterzienser-Prior in Perugia war und mit dem Mealli in besonders Beziehung gestanden haben mag. Darauf weist auch die Zueignung einer weiteren Sonate, Opus 4/5 hin. Ob die Benennungen der Sonaten bloße Referenzen sind oder gewissermaßen musikalische Porträts der Bezeichneten darstellen, ist nicht eindeutig zu klären. Es wird wohl beides zutreffen. Auch die letzte Sonate von Opus 4 hat durchaus programmatische Intention und ist vermutlich überhaupt ein in Musik gegossenes Detail aus Meallis Biographie. Diese ganz eigenwillig gestaltete Sonate ist als einzige einer Frau, Signora Teodora Vincioli, gewidmet. Wir kennen nur ihren Namen, aber sie wird im Leben Meallis sicherlich eine besondere Rolle gespielt haben. Das Stück ist wie eine leidenschaftliche seelische Momentaufnahme einer Erinnerung. Der aufgeregte Gefühlsausbruch des Beginns, der verklärte Rückblick in anheimelndem volksliedhaften Tonfall und das die ganze Geschichte ironisierende Tanzfinale geben doch einige Geheimnisse von Meallis Gefühlswelt preis. Meallis Stücke sind vielfach überhaupt über weite Strecken wie lange Selbstgespräche zu verstehen, meditativ, eruptiv, manchmal beschaulich erzählend, auch resignierend, manchmal wieder wild auffahrend. Alle nur denkbaren Affekte und Effekte sind in den Stücken vereint und in barockem Überschwang durcheinander gewürfelt. So entstand eine überaus spannende Musik voller Überraschungen, deren universeller Stellenwert in der Geschichte der Violinliteratur anzuerkennen ist.
Pandolfi Mealli hat seine Stücke mit dem Originaltitel Sonate per chiesa e camera, einer üblichen Praxis der Zeit entsprechend, sowohl für den kirchlichen als auch weltlichen Gebrauch bestimmt. Formal sind die einzelnen Stücke jedoch nicht so typisiert, dass sie mit einem der von Theoretikern konstruierten Idealmodelle von Sonata da chiesa oder Sonata da camera konkret in Verbindung gebracht werden konnten. Das strukturelle formale Konzept ist das Prinzip des Kontrasts, das sich nicht nur auf das Tempo der einzelnen Abschnitte bezieht, sondern auf alle musikalischen Parameter. Dieses Kontrastprinzip dominiert somit sowohl das komplexe Formgebilde als auch zahlreiche Details in der unvermittelten Aufeinanderfolge musikalischer Elemente innerhalb des Stücks, wie sie im Stylus phantasticus zum unverwechselbaren Pathos geworden sind. Der Kontrast zeigt sich in sensitiver Harmonik voller Überraschungen ebenso wie im melodischen Bereich, der vom einfachen Volksweisen über Tanzgestik zu virtuosem Passagenwerk bis zu manieristischer Figuration und ornamentalem Überschwang reicht. Das formale Rückgrat bildet das Prinzip der Variation. Was für das 18. Jahrhundert die Sonatenhauptsatzform als gestaltprägendes Formprinzip werden sollte, ist bei Mealli noch die Passacaglia, die in ihrer speziellen Gestaltung mit stereotyp wiederkehrenden Bassmodellen bei variierenden Oberstimmen der Musik nachvollziehbare und koordinierende Strukturen gibt. In dieser Vielheit der Gestaltungsmöglichkeiten barocker Klangwelten ist natürlich der ganze Reichtum an Klangsymbolik und Musiksemantik der damaligen Zeit enthalten, der uns nur noch bruchstückhaft gegenwärtig ist; so muss uns wohl leider so manches bedeutende Detail der Botschaft dieser grandiosen Musik verschlossen bleiben.
Manfred Schneider

TOP