KONZERT:
Alla Zingara - Alla Turca

Saale Zeitung vom 08.01.2010

Wie man sich Fremdes zu eigen macht
ARS ANTIQUA AUSTRIA in Bad Bocklet

Was haben Shisha und Döner Kebap mit der Sinfonie Nr. 100 in G-dur (der so genannten „Militärsinfonie“) von Joseph Haydn zu tun? Auf den ersten Blick natürlich nichfs; auf den zweiten gibt's Gemeinsames. Die türkische Wasserpfeife und das würzige Grillfleisch im Fladenbrot erfreuen sich hierzulande wachsender Beliebtheit. Wir schätzen das, was Menschen, die vor längerer Zeit als "Gastarbeiter" in unser Land kamen, aus ihrer Heimat mitbrachten, als exotische Note in unserer Kultur.
So ging es auch mit der Janitscharenmusik, der Marschmusik des Osmanischen Heeres. Sie war im Zuge der Türkenkriege nach Europa gekommen; die Truppen, die zur Abwehr der Belagerung Wiens aus allen Teilen Europas herbeigerufen worden waren, nahmen Eindrücke der feindlichen Militärmusik mit in die Heimat, und so entwickelte sich ein eigener Stil: Kompositionen „Alla turca“ wurden zur exotischen Mode. Anhand des Finalsatzes (Presto) der „Militärsinfonie“ demonstrierte das Ensemble ARS ANTIQUA AUSTRIA beim Ausflug des Kissinger Winterzaubers in den Bad Bockleter Kursaal das wesentliche Merkmal eines Alla-turca-Satzes: Der betonte Schlag eines Taktes bekommt einen schweren, dumpfen Trommelschlag, der unbetonte einen hellen Tschinellen-Akzent.
Echtes Kuriosum
Leicht und zerbrechlich war im Übrigen der Klang, den das Ensemble der Komposition verlieh, die in einer Bearbeitung des Mozart-Schülers Johann-Nepomuk Hummel erklang. Zwei Violinen und eine Violone, dessen schmaler Bassklang direkt in den Cembaloklang überging, bildeten das Gerüst der quicklebendig wiedergegebenen Komposition; zusätzliche Farbe brachte das Zymbal, das gelegentlich klavierähnliche Töne hineinmischte, die Puristen in solch einem Fall ja eher nicht so mögen. Aber um die „reine Lehre“ oder den Besuch in einer amtlich bestellten Restauratorenwerkstatt ging es in diesem vor Lebensfreude und Musikalität sprühenden Konzert ohnehin nicht, dessen Programm dennoch exemplarisch zusammengestellt und dessen sorgfältige Reduktion musikalischer Formen und Stile anschaulich war. Die Johann Josef Fux zugeschriebene „Sintonia a 3“ in C-dur, deren Satzbezeichnungen "Turcaria", ,Janitschara" oder "Posta Turcica" ankündigen, was sie darstellen wollen, war ein echtes Kuriosum barocker Musik: Nach orientalisch angehauchtem Beginn mit Tschinellen und Trommel wird es sehr bald zeitgenössisch, was Formen und melodische Formeln betrifft; stellenweise liegen den Themen exotisch anmutende Skalen zugrunde, das Zymbal unterstreicht das Fremde, aber es atmet alles den Geist des Europäisch-Barocken, in das die ganz  zurückgenommene, pastoralenartige "Passa Gallia" mit erdig gehauchten Streichertönen und Theorbe anstelle des Cembalos bestens passte. Mit entsprechendem Schlagwerk, morgenländisch-martialischem Rhythmus und Gestus und eingebautem Schreckschuss für den Hörer verfehlte das Werk seine Wirkung aber sicher nicht.
Authentische Volksmusik
Interessant und gut nachvollziehbar war die Entwicklung der „Alla-zingara-“Musik anhand von Stücken aus den „Zingarese per il Clavi Cembalo“, die von Joseph Haydn stammen sollen. ARS ANTIQUA AUSTRIA kombinierte sie mit Ungarischen Tänzen aus dem 18. Jahrhundert, die sich in verschiedenen Handschriften finden. Die darin enthaltenen Melodien, deren Sätze und Instrumentierung das Ensemble eingerichtet hat, sind authentische Volksmusik dieser Zeit. Im Charakter sind sie, mit einer Ausnahme, eher, schwerblütig-melancholisch; ihre Motive ähneln naturgemäß dem, was wir aus später entstandenen „Ungarischen Tänzen“, „Zigeunertänzen“ und „-liedern“ kennen, wobei diese Verarbeitungen gegenüber dem Original wie ein zurechtgestutzter Kakadu im Goldkäfig wirken. Hier waren zart-versonnene Geigenduette zu hören, einsilbige Weisen, seltsam Holpriges, aber Schönes, Spiele mit Echoformen und scharfe Dissonanzen.
Typische Instrumente
Ein Fest für die Sinne, gleichermaßen zum Hören und Erleben, war der letzte Teil, in dem das Ensemble über Volkslieder aus verschiedenen Regionen der Slowakei improvisierte, deren Wurzeln bis in 18. Jahrhundert reichen. Mit typischen Flöteninstrumenten wie Koncovka und Fujara, die ein scharf obertöniges Geräusch und zugleich einen milden Flötenton erzeugt, mit Gesang und volkstümlichem Spiel auf Geigen, Bass und Zymbal gaben die Musiker den Hörern eine Ahnung von dem, wie die Musik, die in der Kunstmusik zum bloßen Sujet verkommen ist, im Original klingt. Musik, die zum Teil einfach ist, aber an das Herz und die Seele geht. Musik, die abgefärbt hat, die aber in ihrer Heimat so selbstverständlich zu finden ist, wie die Wasserpfeife auf dem Basar.
Christian Dijkstal

 

Main Post vom 08.01.2010

Von Bratislava ins Biedermeierbad
Ars Antiqua Austria zelebrieren die Musik der Vielvölker-Monarchie

Von unserem Redaktionsmitglied GERHARD FISCHER

Tags zuvor, beim weltmusikalischen Edel-Klezmcr des David Orlowsky Trios, führte ein weiter Sprung im Bad Kissinger Rossini-Saal vom Schtetl hinunter zum Balkan. Zu zeigen, was dazwischen im Karpatenbogen an musikalischen Schätzen liegt, blieb einem eigenen Winterzauber-Konzert vorbehalten.
Rund 750 Kilometer waren die Musiker der Ars Antiqua Austria von Bratislava (Preßburg) an die Saale angereist, um statt im Regentenbau im Kursaal von Bad Bocklet die Bühne zu erklimmen. Der Winterzauber auf Landpartie sozusagen, zu der sich die Kurdirektoren beider Bäder herzlich die Hand schüttelten.
Das Ensemble um den Violinisten Gunar Letzbor findet in den Archiven und Klosterbibliotheken zwischen Wien, Preßburg und Budapest Zeugnisse der Rezeption ungarischer Volksmusik bei den Vor- und Frühklassikern. Der Tonfall zwischen volkstümlicher Ungezwungenheit und Feinsinnigkeit des virtuosen Anspruchs hat dabei etwas sehr Bezwingendes. Die "Alla-turca“-Episoden aus dem Schaffen Haydns oder Johann Josef Fux' mit ihren Trommelknalleffekten sind aber fast nur heiteres Beiwerk zum wirklichen Schatz dieses Abends.
Der lag im zweiten Programmteil verborgen, bei den slowakischen Volksliedern. Nicht nur, dass man die Koncovka hören konnte, ein kleines Oberton-Pfeifchen, wie es in der Hohen Tatra gespielt wird, oder die Fujara, eine tiefe Flöte der Mittelslovakei. Das slowakische Geschwisterpaar - die Musiker werden im ansonsten hoch informativen Programmheft nicht aufgeführt - musizierte mit einer solchen Liebe zum heimatlichen Idiom, dass einem warm ums Herz wurde. Liebes-Klagen, Klangmalereien der Gebirgslandschaft, sich frech steigernde Tanzstücke aus dem cymbalseligen Roma-Repertoire: Es war schon sehr, sehr nah an absoluter Authentizität.
Der lang anhaltende, herzliche Applaus bescherte noch drei Zugaben.