REVIEW


FONOFORUM 07/12 - Selten hat man ein so schauriges Requiem gehört.
BR KLASSIK 15.04.2012 - Da windet sich dann knarzend die Violone, als strecke ein zotteliger Teufel seine Krallen nach der armen Menschenseele, da erzittern die gedämpften Trompeten so schaurig-schön, als wär's schon das Jüngste Gericht höchstselbst...
WAS IST LOS? 23.11.2012 - Große unbekannte Musik großartig musiziert.
MUSIK AN SICH.com - Es ist dieser Mut zum Besonderen, die konsequente Vermeidung eines aseptischen Klangs und einer glatten Interpretation, die Letzbors Einspielungen immer wieder zu einer Entdeckungsreise für den Hörer werden lassen.

 

FONOFORUM 07/12

Schauerlich der Leichenchor

Joseph Balthasar Hochreither war Anfang des 18. Jahrhunderts Organist am Benediktinerkloster Lambach in Oberösterreich. Natürlich komponierte er auch. Allerdings sind von ihm nur wenige Werke überliefert, darunter das hier von Gunar Letzbor, der sich seit Jahren um das habsburgische Musikerbe kümmert, eingespielte Requiem und die Missa „Jubilus sacer“. Selten hat man ein so schauriges Requiem gehört. Wie da im Introitus die gedeckten Trompeten von der Seite ihre Töne hineinstoßen, wie das Streichorchester fast wie im Bordunklang einen leiertonartigen Klang erzeugt, wie dann der glockenhelle, phänomenale Knabensopran Alois Mühlbacher der St. Florianer Sängerknaben das „Te decet hymnus“ anstimmt, wie Gunar Letzbor für diese ganze Requiems-Prozession ein langsam schreitendes Tempo wählt, das lässt einen weniger an die prächtigen geistlichen Kompositionen von Hochreithers Lehrer Biber denken, sondern an romantische Situationen, an Schuberts „Leiermann“ oder Ludwig Uhlands Kapellen-Gedicht: „Drunten singt…froh und hell der Hirtenknab/Traurig tönt das Glöcklein nieder/schauerlich der Leichenchor“. Noch schauerlicher wird es beim „Tuba mirum“. Da sagt Hochreither, dass das aus einem „Rödtrohr“ gesungen werden soll. Was das ist, weiß die Musikwissenschaft nicht. Gunar Letzbor ließ den Bassisten durch ein Plastikregenwasserrohr tönen. Der Effekt ist ein gepresster, schneidender Klang, der sich mit den gedämpften Blechbläsern zu einem wahren Hades-Chor formt. Gott sei Dank gibt es auf dieser CD noch eine festliche Messe von Hochreither mit ungedämpften Trompeten.
Richard Lorber

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BR-KLASSIK 15.04.2012

Tränen im Regenrohr
Tolles aus österreichischen Klöstern

Unter dem Krummstab ließ sich’s gut leben, auch für die Musik: Mehr als zwanzig Jahre wirkte der Barock-Komponist Joseph Balthasar Hochreither am oberösterreichischen Benediktiner-Stift Lambach. Und schuf Erstaunliches, wie Gunar Letzbor und seine Musiker zeigen.
Autor: Andreas Grabner / 12.04.2012

Österreich, Klösterreich: In keinem anderen Land des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, nicht einmal im ebenso erzkatholischen Bayern, hatte sich die mittelalterliche Klosterkultur so gut in die Neuzeit hinüberretten können wie im Herrschaftsgebiet des Hauses Habsburg. Und sie erlebte dort, seit sich die österreichischen Erzherzöge und Kaiser in den Dienst der Gegenreformation gestellt hatten, sogar noch eine bespiellose, über eineinhalb Jahrhunderte währende Blüte, der erst der Aufklärer-Kaiser Joseph II. ein jähes Ende bereitete. In den 1780er Jahren nämlich ließ Joseph einen Großteil der österreichischen Klöster aufheben und versetzte damit der sein Land so intensiv prägenden monastischen Kultur einen schweren Schlag, von dem sie sich nie wieder ganz erholen sollte. Zu den Opfern der josephinischen Reformen gehörte auch das oberösterreichische Stift Lambach. Seit dem 11. Jahrhundert hatten dort die Väter vom Orden des Heiligen Benedikt über Land und Seelen gewacht, und unter ihrem so beharrlichen wie gütigen Regiment gediehen nicht nur die Kohlköpfe und Apfelbäume in den Stiftsgärten prächtig, sondern auch die schönen Künste, darunter die Musik.

Hochkultur auch "auf dem flachen Land"

Wie prächtig, davon zeugt die Musik Joseph Balthasar Hochreithers (1669 - 1731), der von 1694 bis 1721 Organist und Chorerzieher in Lambach war. 21 geistliche Werke Hochreithers sind erhalten, die meisten nur im Lambacher Stiftsarchiv, und ihre bemerkenswerte Qualität belegt, daß unter dem Krummstab Hochkultur auch "auf dem flachen Land" stattfand, nicht nur in den Städten und an den großen Höfen. Bereits vor einigen Jahren haben Gunar Letzbor und seine Ars Antiqua Austria eine erste schöne Messe von Hochreither ausgegraben, jetzt legen sie nach mit zwei mindestens ebenso imposanten Werken: seinem hochoriginellen Requiem und einer aus seinem Todesjahr stammenden Festmesse. Hochreithers geistliche Musik steht in eindrucksvollem Kontrast zu der nervösen "Wortbedeutungs-Musik" seiner protestantischen Kollegen in Deutschlands Mitte und Norden, sie ist süddeutsch-sinnlich durchaus, aber bei aller selbstverständlich wohltönenden, glanzvollen Katholizität erstaunlich prägnant. Um Bilder zu erzeugen, Atmosphäre zu schaffen, genügen ihr wenige, dafür umso klarere musikalische Gesten - das Eigentliche, das Mysterium Fidei, das Geheimnis des Glaubens geschieht ohnehin in einem Raum jenseits der Worte und Töne.

Ein sinnlich-spirituelles Erlebnis

Gunar Letzbor hat es diese "mystisch" angehauchte Barock-Musik, die mehr auf die Eingeweide zielt als auf die Ratio, seit langem angetan, ebenso lang ringt er mit seinem Ensemble um den ihr angemessenen "bauchig"-emotionalen Klang, und das immer wieder faszinierenden Ergebnissen: Da windet sich dann knarzend die Violone, als strecke ein zotteliger Teufel seine Krallen nach der armen Menschenseele, da erzittern die gedämpften Trompeten so schaurig-schön, als wär's schon das Jüngste Gericht höchstselbst, und wenn der Baß sein "Lachrimosa" nach Hochreithers Partitur-Anweisung durch ein ominöses "Rödtrohr" singen soll, dann experimentiert man so lange mit einem Regenrohr aus Letzbors Garten, bis daraus tatsächlich Töne zu tropfen scheinen wie dunkel-sämige Tränen. Elementar ist das, "viszeral", aber bei aller bewußt gepflegten "Rauhigkeit", aller prallen physischen Präsenz von fein nuancierter Klang-Kultur. Letzbor und seine Musiker treten den Beweis an: Unter dem Krummstab ließ sich’s nicht nur meist gut leben, sondern auch im doppelten Sinne tolle Musik hören. Ein sinnlichspirituelles Erlebnis und ein großes Vergnügen.

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W A S   I S T   L O S ?
K L A S S I K - K O P F H Ö R E R
V O N   M I C H A E L   W R U S S
Seite 44 vom 23.11.2012

Für Entdecker. 
Erst 2002 entdeckte man im Stift Lambach die Musik des einstigen Regens chori Joseph Balthasar Hochreiter (1669–1731). Gunar Letzbor hat mit seiner Ars Antiqua Austria und den St. Florianer Sängerknaben mit dem Requiem aus 1712/17 und der im Todesjahr entstandenen Miassa Jubilus Sacer zwei beeindruckende Beispiele aufgenommen, die nicht nur die kompositorische Qualität, sondern auch die zu dieser Zeit schon leicht angestaubte hochbarocke Salzburger Klanglichkeit bestens zeigen. Große unbekannte Musik großartig musiziert. (Pan Classics PC 10264)

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Hochreither, J. B. (Letzbor)
Requiem / Missa Jubilus sacer
VÖ: 1.3.2012
(Pan Classics / Note 1 / CD / DDD / 2011 / Best. Nr. PC 10264)
Gesamtspielzeit: 58:58
Internet: Ars Antiqua Austria

ENTDECKERFREUDEN

Man könnte Gunar Letzbor auch als den Peter Lustig der Alten Musik beschreiben: Denn welcher Ensembleleiter käme schon auf die erfrischende Idee, bei einer kryptischen Ausführungsanweisung im Autograph („aus einem Rödtrohr zu singen“), das Plastikregenwasserrohr vom eigenen Gartenhaus abzuschrauben und damit zu experimentieren. Es ist dieser Mut zum Besonderen, die konsequente Vermeidung eines aseptischen Klangs und einer glatten Interpretation, die Letzbors Einspielungen immer wieder zu einer Entdeckungsreise für den Hörer werden lassen. Diesmal führt die Reise in das Stift Lambach und nach Salzburg – die beiden Orte, an denen Jospeh Balthasar Hochreither (1669-1731) als Komponist wirkte. Dass dieser vermeintliche „Kleinmeister“ aller Achtung wert ist, hat Letzbor schon 2006 unter Beweis
gestellt. Zwar hinkt Hochreither ein wenig hinterher: in Besetzung und Stil bewegt er sich weniger auf der Höhe seiner Zeit, sondern ganz in der Traditionslinie Bibers. Er setzt diese begrenzten und an sich strengen Mittel aber, zumal beim Requiem, mit unbedingtem Willen zur dramatischen Illustration ein. Den (vier) gestopften Trompeten und der gedämpften Pauke kommt dabei prägende Bedeutung bei. Zusammen mit den drei Violen und dem überwiegend tief angesiedelten Chorsatz erzeugen sie ein schaurig-düsteres Klangpanorama, in welches sich das durch jenes Rohr gesungene „Tuba mirum“ stringent und effektvoll einfügt. Ein Ruf aus der Gruft gewissermaßen, den die Musikgeschichte mithin schon lange vor Brecht/Weill kannte.

Hier, wie auch in der sehr dynamischen, kleinteilig strukturierten und mit virtuosem Zierrat aufgelichteten Missa Jubilus sacer spürt man die Begeisterung der Mitwirkenden. Dass die alten Instrumnete dabei bisweilen auch einen geräuschhaften Anteil haben, es hier und da also knackt und knarzt, verleiht dem Ganzen authentische Lebendigkeit und beeinträchtigt der Hörgenuß keineswegs. Unter den Solisten macht einmal mehr Alois Mühlbacher Staunen, der hier ganz in seinem Element ist und die Sopranpartie mit verblüffender Sicherheit und Volumen versieht.

Sven Kerkhoff 

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